Angesichts der Wertschätzung für Langsdorff, die ihm jetzt seit 80 Jahren international dargebracht wird und unvermindert anhält, wirft ebendieses automatisch die Frage auf, wie gehen die entsprechenden politischen und militärischen Institutionen in Deutschland mit dieser Person, die Geschichte schrieb, um?
Und wie honoriert die "Politische Klasse" dieses Handeln, die die historische deutsche Verantwortung immer griffbereit hat, und wenn es opportun erscheint, diese fast gebetsmühlenhaft deklamiert. Es wird doch immer nach Persönlichkeiten Ausschau gehalten, deren Verhalten im 2. Weltkrieg Vorbildfunktion haben könnte! Das ambivalente Verhalten, sowohl der politischen Klasse als auch der Bevölkerung in Deutschland gegenüber der Bundeswehr, hat selbst schon was "Traditionelles". Allein die Absicht der Wiederbewaffnung führte 1952 nicht nur innerhalb der Parteiensysteme zu völlig konträrer Auffassungen, sondern war Anlass für die Gründung der "Ohne mich-Bewegung"; eine pazifistische Bewegung im Westdeutschland der Nachkriegszeit. Dieses zwiespältige Verhalten hat sich im Volk, seit der Gründung der Bundeswehr im Jahr 1955, nicht wesentlich geändert und da die politischen Repräsentanten dazu neigen sich dem Mainstream anzupassen ist ihr Verhalten oft nicht anders. Man könnte manchmal das Gefühl haben die Institution Bundeswehr ist ein notwendiges Übel.
Und auch der jüngste "Traditionserlass" aus dem Jahr 2018 lässt keinen Spielraum zu. Im Absatz "Klare Grenzen zur Wehrmacht“ findet sich folgende Passage:
Hans Langsdorff war weder ein Freiheitskämpfer noch ein Nazi, aber auch als Marineoffizier war er natürlich Wehrmachtsangehöriger. Solches vorbildhaftes Handeln, das durchaus auch bei manchen anderem Wehrmachtsoffizier ggf. zu nennen wäre, hat die Politik aber nicht bedacht.
Später erhielt der Autor eine Brief.
Der Absender schrieb, dass sein Vater mit Langsdorff verwand, war. Langsdorff hatte sich bei ihm ein Buch ausgeliehen und 1939 mit persönlichen Worten auf einer begleitenden Grußkarte, mit der Abbildung der "Graf Spee" , zurückgegeben. Sein Vater schrieb als Kommentar auf diese Grußkarte. Zitat: >>Mein Vetter II. Grades Hans Langsdorff war ein Mensch mit ungewöhnlicher Bildung, Typ des intellektuellen Offiziers. Er verabscheute Hitler; dieser Krieg war nicht sein Krieg<< […]
Und in einem Leserbrief mit der Überschrift "Langsdorff tribute", als Antwort auf einen Artikel der in der Zeitung "The Times" am 15. August 2019 erschien, schreibt Alec Taylor, dass sein Vater Besatzungsmitglied des Leichten Kreuzers "HMS Ajax" war und an dem Gefecht vom 13.Dezember 1939 teilgenommen hatte. Er berichtet kurz über die Wertschätzung, die bisher Langsdorff international entgegengebracht wurde, weil er mit seinem Entschluss viele Leben gerettet hatte. Aber mit den beiden letzten Sätzen bringt er es grandios auf den Punkt:
>>To date Germany may have failed to honour him. The free world that Hitler tried to destroy has not<<.
>>Bisher hat es Deutschland vielleicht versäumt, ihn zu ehren. Die freie Welt, die Hitler zu zerstören versuchte, hat es nicht<<.
Rückblick
Die Vorbereitungen für die Operation, die einen Handelskrieg zum Ziel hatten, wurden mal eben über das Wochenende abgewickelt; milde ausgedrückt: im Hauruckverfahren. Ab Anfang September begann die lange Wartezeit im Südatlantik, für die Besatzung gab es keine sinnvolle Beschäftigung, die Kluft zwischen Offiziere und Mannschaft hatte sich spürbar intensiviert und die Lufttemperatur auch.
Nach vier Wochen erhielt die Mannschaft volle Operationsfreiheit und die Suche nach Prisen begann. Auch die Technik des Schiffes begann zunehmend Probleme zu bereiten, auch hier begann die Suche nach den Ursachen, was keine Überraschung sein dürfte, zumal das Schiff zu dem Zeitpunkt bereits zur Generalüberholung in eine Werft hätte liegen müssen. So musste die Besatzung mit eigenen begrenzten Mitteln die Reparaturen notdürftig durchführen. Die Kriegsmarine durfte sich glücklich schätzen solches hoch- qualifiziertes Personal zu haben; ohne dem wäre es nämlich nicht gegangen. Das Bordflugzeug, welches im Prinzip die Funktion "eines fliegenden Auges jenseits des Horizontes" wahrnehmen sollte, fiel durch permanente technische Probleme auf; bis hin zum Totalausfall.
Im Laufe der Operationszeit ging nicht nur die Kohlensäure und das Artic-Öl zur Neige, Mittel, die für die Kühlmaschinen bzw. der Munitionskammern dringend gebraucht wurde, zur Neige, sondern auch die Bordverpflegung, und schließlich mussten sich drei Mann eine Rolle Toilettenpapier teilen.
Diese Operation mündete schließlich am Ende in einem Gefecht mit zahlreichen Gefallenen, noch mehr Verwundeten und einen Kommandanten, der zeitweise seiner Verletzungen wegen ausgefallen war. Am Ende des Tages fanden sich Schiff und Besatzung im Hafen von Montevideo in Uruguay wieder. Und das Ende ist auch hinlänglich bekannt.
Langsdorff soll hier keineswegs heiliggesprochen werden. Sicher sind, militärisch betrachtet, strategische Fehler gemacht worden und daraus resultierten ebensolche Entscheidungen.
Vielleicht wäre einiges anders gelaufen, wenn dem Schiff und der Besatzung eine angemessene Vorbereitungszeit gegeben worden wäre, Langsdorff ein Erster Offizier zur Seite gestanden hätte, der mit der nötigen Empathie ausgestattet und integrativ handelnd für die nötige Kommunikation gesorgt hätte. Und das auch und gerade im Hinblick auf die HSO, die Langsdorff sicher in Bezug auf die südamerikanische Küste im Allgemeinen und der "La Plata Mündung" im Besonderen wertvolle Information über die Besonderheiten hätten liefern können. Denn weder er, sein IO bzw. die beiden NO kannten die Situation vor Ort.
Aber das ist spekulativ. Genauso könnte die Frage gestellt werden, ob Langsdorff die nötige Erfahrung hatte so ein Schiff zu führen. Nach seiner letzten militärischen Verwendung als Kommandant eines Minensuchbootes und als Halbflottillenchef im Torpedobootsverband sagte man Langsdorff nach, dass er seemännisch, taktisch und in der Menschenführung vorbildlich wäre. Danach aber folgten bekanntlich Stabsfunktionen, über die bereits berichtet wurde und zuletzt als I. Asto bei unterschiedlichen Admiralen. Die Erfahrung als Erster Offizier einer großen Einheit fehlte und ein erneutes Bordkommando entwickelte sich erst aus der Übernahme der "Admiral Graf Spee" am 1. November 1938.
Es gebe sicher noch das eine oder andere zu erwähnen, aber letztendlich führt das alles zu nichts; es ist historisch und nicht reversibel.
Am Ende ist es doch bestimmend, dass Langsdorff als er seinen Fehler erkannte eine mutige und moralisch vorbildliche Entscheidung traf.
Ähnlich wie im November 1918 in Bremerhaven als revolutionäre Matrosen von der Schleuse aus die Besatzung aufforderte, ihren Kommandanten abzusetzen und die Kaiserliche Kriegsflagge niederzuholen, lehnte die Besatzung dieses Ansinnen ab. Als daraufhin die Revolutionäre ihre Waffen in Anschlag brachten und eine Schießerei bevorstand, befahl Langsdorff das Niederholen von Flagge und Wimpel. Sein Verhalten begründete er später damit, dass er am Ende des Krieges seine Männer "nicht sinnlos über den Haufen schießen lassen wollte".
Und genau nach diesem persönlichen Wertekompass handelte Langsdorff in Montevideo erneut: Anstatt seine Besatzung in einen aussichtslosen Kampf zu führen - für die Ehre der Flagge -, was nur in ein "Scheibenschießen" geendet hätte zum Vorteil eines, mittlerweile übermächtigen Gegners, versenkte er das Schiff, um es nicht in die Hände des Kriegsgegners fallen zu lassen. Er rettete dadurch das Leben seiner Männer!
Nachdem Langsdorff dafür gesorgt hatte, dass die Gefallenen würdig bestattet worden waren, die Verletzten sich in ärztlicher Betreuung befanden, der große Rest der Besatzung heil in Buenos Aires an Land gelangt war und die argentinische Regierung die Internierung beschlossen hatte, schrieb er einen Brief an den deutschen Botschafter v. Thermann und notierte dort seine persönlichen Gedanken, Gefühle und Beweggründe. Der gesamte Text ist nachzulesen.
Zur Erinnerung; Langsdorff hatte bereits am 17.Dezember in Montevideo entschieden aus dem Leben zu scheiden, da er sein Schicksal mit dem des Schiffes untrennbar verbunden sah. Er hatte sowohl seiner Mutter als auch seiner Ehefrau Ruth einen Abschiedsbrief geschrieben. Die Frage war also nicht ob, sondern wann und wo. Anfangs wollte er auf seinem Schiff bleiben, aber seine Stabsoffiziere überzeugten ihn mit nach Buenos Aires zu kommen, und dort für die Internierung seiner Mannschaft zu sorgen und das tat er dann auch. Am Nachmittag des 19. Dezember hielt er dann im Park des "Hotel de Inmigrantes" eine letzte Ansprache an seine Besatzung, im Bewusstsein seine gefasste Entscheidung kurze Zeit später umzusetzen – welch ehrenhafte Haltung.
Seit ihrem Bestehen und bis in die Gegenwart hadert die Deutschen Marine mit dem Vorgehen von Hans Langsdorff. Das ist bekannt. Das wird möglicherweise immer für die Ewigkeit so bleiben. Aber es nicht ausschlaggebend und daher sollte man auch in Zukunft damit leben können.
Die Töchter und Söhne der ehemaligen Speefahrer haben das auf besonderer Weise bewiesen. Denn ohne diese mutige und moralisch vorbildliche Entscheidung vom Kommandanten der "Admiral Graf Spee" KptzS. Hans Langsdorff hätte es sie vermutlich nicht gegeben, jedenfalls nicht in dem jeweiligen Gefüge; die Tochter von Hans Götz, wir sind ihm schon begegnet, sagte mal zu ihren Kindern: >>Ohne einen Hans Langsdorff würde es uns so in dieser Form sehr wahrscheinlich nicht geben!<<
Das ist keine Pathetik; das ist gelebte Realität! Und das ist das Maß aller Dinge.